WOLFGANG SCHNEIDERHAN
Präsident des Volksbundes
Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

Ab dem 8. Mai 1945 schwiegen in Europa die Waffen, vier Monate später dann auch in Asien – endlich. Der Zweite Weltkrieg kostete zwischen 60 bis 70 Millionen Menschenleben, viele von ihnen erst in den letzten Kriegsmonaten.

Diese Toten der letzten Kriegstage wurden bei hastigen Rückzügen oder nach katastrophalen Bombardierungen oft nur notdürftig bestattet oder sie blieben in den Ruinen verschüttet. Noch heute werden sie gefunden, geborgen und auf Kriegsgräberstätten umgebettet. Noch heute bekommen ihre nunmehr selbst schon betagten Kinder und Enkelkinder Gewissheit über den Todesort ihrer Verwandten.

Von Berlin aus wurde dieser Vernichtungskrieg mit seinen beispiellosen Verbrechen gegen die Menschheit bereits lange vor 1939 geplant und ohne jede Rücksicht losgetreten. Und bis hierhin, gewissermaßen bis zum letzten Meter dieser schon weitgehend verwüsteten Hauptstadt, mussten die Alliierten in einem immensen Kraftakt die nationalsozialistische Aggression zurückschlagen.

Bis zuallerletzt wurden Juden, Sinti und Roma oder Zwangsarbeiter auf Todesmärschen umgebracht, inhaftierte NS-Gegner, aber auch viele einfache Soldaten und Zivilisten wegen angeblicher „Wehrkraftzersetzung“ noch hingerichtet.

Daher war das Kriegsende für die überlebenden NS-Verfolgten in einem existenziellen Sinne eine Befreiung. Nicht wenige waren in Deutschland trotz ihrer ungewissen Zukunft erleichtert über das Ende der furchtbaren Bombennächte und aussichtslosen Kämpfe.

»Kein sofortiges Ende der Gewalt – und doch der steinige Beginn des Aufbruchs.«
WOLFGANG SCHNEIDERHAN

So gewaltvoll dieser Krieg in Deutschland endete, war er doch die Folge eines erbarmungslosen Machtanspruchs, der von weiten Teilen zuvor bejubelt worden war. Und der noch viel größere Verheerung über den Kontinent gebracht hatte: in Rotterdam und Coventry, in Distomo, Fivizzano oder der Finnmark sowie am schlimmsten in Mittel- und Osteuropa.

Gerade in diesem Teil Europas bedeutete das Kriegsende kein sofortiges Ende der Gewalt. Flucht und Verfolgung trafen nun Deutsche ebenso wie viele andere Menschen in der Region. Ganze Landstriche blieben lange versehrt. Unter der europäischen Teilung im Kalten Krieg litten die Menschen in Mittel- und Osteuropa abermals besonders schwer.

Der 8. Mai 1945 war zugleich der Beginn eines Aufbruchs, wenn auch zaghaft und entbehrungsreich. So entwickelte sich in Westeuropa ein einmaliges Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsmodell. Der Weg im Osten war steiniger, erst die weitgehend friedlichen Revolutionen von 1989 und die europäische Integration überwanden diese Trennung. Allerdings rissen nun lang unterdrückte historische Wunden wieder auf, es kam zu einem neuen alten Krieg auf dem Balkan. Seit 2014 findet ein Krieg – oftmals vergessen – mitten in Europa, in der Ukraine, statt.

Die Generation, die die ersten schweren Schritte zum europäischen Wiederaufbau gegangen ist, hat den Krieg noch in jungen Jahren erlebt. Angst vor Tod und Verfolgung, Zerstörung und Hunger, der Verlust von oft weit entfernt und einsam verstorbenen Angehörigen – das waren die Erfahrungen einer ganzen Generation.

Diese Menschen wissen, was Krieg, aber auch was Frieden und Freiheit bedeuten und wie Zusammenhalt durch Zeiten voller Not führt. Gerade in diesem Gedenkjahr zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, im Zeichen der Corona-Pandemie, sollten wir ihnen beistehen und zuhören, so gut es bei den notwendigen Beschränkungen geht. Ihre Erinnerungen an jüngere Generationen weiterzugeben, könnte nicht friedensstiftender sein und ist uns Auftrag an diesem Volkstrauertag und darüber hinaus.