Geleitwort von Markus Meckel, Präsident des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

Am Volkstrauertag, wenn in Deutschland die Fahnen auf Halbmast wehen, gedenken wir der deutschen Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen. Wir begehen in diesem Jahr einen bedeutenden Jahrestag, das Ende des Zweiten Weltkrieges vor siebzig Jahren. 1945 befreiten die Alliierten Deutschland vom Nationalsozialismus und beendeten damit das Sterben auf den Schlachtfeldern, in den Vernichtungslagern und in den ausgebombten Städten.

Sind wir also, wenn wir der Kriegstoten des 20. Jahrhunderts gedenken, in einer weit zurückliegenden Vergangenheit, die uns ohne Berührungspunkte zum Hier und Jetzt nicht mehr ängstigen muss? Die Schreckensbilder in den Abendnachrichten machen rasch deutlich, dass die Welt auch heute nicht vom Frieden regiert wird und Menschen nach wie vor unter Hunger, Krieg und Verfolgung leiden. So sind unsere Gedanken in diesem Jahr auch bei den Menschen im Irak und in Syrien, im Nahen Osten und in der Ukraine, bei allen Opfern von Konflikten auf dieser Welt. Um die Fehler von gestern heute und in der Zukunft nicht zu wiederholen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte. Indem wir die Toten und die Orte des Schreckens nicht vergessen, wird ein unerlässlicher Beitrag zum Frieden und zur Demokratie in der Gegenwart geleistet.
Zu diesem Gedenken und Erinnern liefert der Volksbund seit nunmehr fast hundert Jahren einen wichtigen Beitrag. Er erhält und pflegt im Auftrag der Bundesregierung Ruhestätten von Soldaten als Mahnmale gegen Krieg und Gewaltherrschaft. In 45 Staaten und auf derzeit 832 Friedhöfen gibt er den Toten ein Grab und ermöglicht damit ein Abschiednehmen, ein Trauern und Erinnern.
Jedoch ist der Volksbund keinesfalls nur im Interesse der Toten und ihrer Angehörigen tätig. Vielmehr verfolgt er mit seiner schulischen und außerschulischen Jugendarbeit zukunftsorientierte und friedenspädagogische Ziele.
So kommen junge Menschen aus ganz Europa zusammen - in diesem Jahr werden es wieder über 20 000 sein -, die Erfahrungen austauschen und in einen Dialog über die Herausforderungen unserer Gegenwart treten. Durch die gemeinsame Arbeit auf Friedhöfen lernen sie nicht nur einander, sondern auch die zentrale Bedeutung dieser Ruhestätten für unsere historische Identität und ein gewaltfreies Miteinander kennen. In einer Zeit, in der wir neue Wege finden müssen, um den nachwachsenden Generationen die Bedeutung des Erinnerns und Gedenkens näherzubringen, erfüllt der Volksbund somit eine wichtige gesellschaftliche Funktion.
Die Notwendigkeit, der Toten zu gedenken und die Deutungshoheit über Kriegsgräber nicht der Beliebigkeit anheimfallen zu lassen, wird in Anbetracht der Feinde unserer Demokratie erneut deutlich. Viele dieser Gruppen, die auch auf junge Menschen eine hohe Anziehungskraft ausüben, sehen im europäischen Integrationsprozess die Wurzel allen Übels. Richtig ist, dass die Europäische Union vor großen Herausforderungen steht, wodurch sie regelmäßig auch unter Legitimierungszwang gerät. Die Notwendigkeit des europäischen Zusammengehens lässt sich wohl kaum eindrucksvoller unter Beweis stellen als durch einen Blick auf das 20. Jahrhundert. Erst das Zusammenrücken der Nationen hat einen verlässlichen Frieden ermöglicht, welcher zuvor nicht möglich schien. Die Kriegsgräber von Millionen Toten mahnen die Lebenden und sind deshalb bedeutender Teil unserer europäischen Identität. Auch deshalb dürfen wir sie nicht radikalen Europagegnern, Extremisten und Nationalisten überlassen.
Siebzig Jahre Kriegsende, das sind für mich auch siebzig Jahre seit dem Beginn der deutschen Teilung, die Familien, Freunde, ja ganze Gemeinden auseinanderriss. Der Osten Europas, der bis 1990 vom Sowjetkommunismus beherrscht wurde, konnte erst mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenwachsen und am europäischen Integrationsprozess teilhaben. Mit dem Sieg von Freiheit und Demokratie in den weitgehend friedlichen Umbrüchen vor 25 Jahren begann ein neues Zeitalter für Europa. Indem wir an diejenigen erinnern, denen diese universellen Werte nicht zuteilwurden, unterstreichen wir ihre Bedeutung als ein hohes und schützenswertes Gut. Hierin sehe ich eine unserer vordringlichsten Aufgaben, nicht nur am Volkstrauertag.